Ein Schüler kommt zum Meister und beklagt sich: „Meister, ich bin ganz verwirrt. Wie soll ich mein Ego klein wie ein Kind halten, ich bin doch erwachsen…“
Der Meister schmunzelt und geht mit dem Schüler in die Küche, nimmt dort einen Tonbecher in die Hand, wäscht ihn sorgfältig aus und trocknet anschließend mit einem Tuch ab. Dann fragt er den Schüler: „Was siehst du in diesem Becher?“
Der überraschte Schüler antwortet: „Nichts!“
„Nun,“ sagt der Meister, „nicht ganz. Es ist die Luft, die wir atmen und die uns alle umgibt, zu jeder Zeit, auch wenn wir es anders sehen. So sind wir auch mit Gottes Liebe erfüllt, ohne es zu merken. Aber jedes kleine Kind, das geboren wurde, kennt nur diese Liebe, aus der es kommt. Bis zu dem Augenblick, wo es anfängt, den eigenen Willen zu erkennen und die eigene Welt mit Gedanken zu füllen. Diese Gedanken sind wie der Essig, den wir in den Becher füllen, wenn wir unser Essen zubereiten.“ Während er sprach, füllte er den Becher mit Essig bis zum Rand und fragte dann den Schüler: „Was siehst du jetzt?“
Der verblüffte Schüler antwortete: „Der Becher ist jetzt voll mit Essig…“
„Und wo ist jetzt die Luft, die vorher im Becher war?“ fragte der Meister. Der Schüler schaute ihn verlegen an, wollte antworten, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken und so stand er mit offenem Mund da.
Der Meister schaute ihn liebevoll an und erklärte: „Der Essig ist das Abbild deiner Gedanken und diese sind die Produkte deines Egos. Die Luft bedeutet hier die Liebe Gottes. Wir alle, die auf den Pfaden der Liebe Gottes schreiten, haben am Ende nur eine einzige Sehnsucht: den Becher, der hier für unser Bewusstsein steht, so leer von diesem Ego zu machen, wie nur möglich, damit die Liebe Gottes immer mehr unser Sein erfüllt. So beginnen wir den Essig aus dem Becher auszuschöpfen. Dadurch wird unser Ego immer kleiner, bis es an Bedeutung für uns verliert. Der Becher, also unser Bewusstsein, bleibt erhalten, doch wir werden durch die Liebe Gottes mehr und mehr wie die kleinen Kinder, die nur diese Liebe kennen. Ist das geschehen, so beginnen wir diese Liebe in jeden Menschen sehen, überall.“
„Wie kann auch ich es schaffen?“, fragt der Schüler nachdenklich.
„Werde wie ein Kind,“ schmunzelt der Meister, als er die Verwirrung des Schülers sieht. „Schau, ein kleines Kind kennt nur diese Liebe Gottes und so kann es nur diese in seinem Umfeld erkennen, wenn sie ihm entgegengebracht wird. Und so lenkt es seine Aufmerksamkeit aus sich heraus, hin zu dieser Liebe, die zu ihm fließt. So lebt es, ohne es als Ego zu wissen, in der Widerspiegelung dieser Liebe.“
„Ich bin doch kein kleines Kind mehr und weiß schon, dass ich ein Mensch bin, der lebt, denkt und manchmal auch liebt…“ murmelte der Schüler vor sich hin.
„Wirklich? Das, was du sagst, sind Gedanken. Dein Becher ist noch voll mit Essig. Damit er leerer wird, beginne mit Handlungen der Liebe. Suche diese Liebe überall und folge ihr, wenn sie sich dir zeigt. Bete und handle in Liebe für die Liebe. Lass dein Leben ein inniges Gebet der Liebe sein, wo jeder deiner Schritte der Ausdruck dieser Liebe sei. Dann und nur dann wird auch dein Becher ganz leer. So wirst auch du die Widerspiegelung der Liebe Gottes in die Welt tragen und lässt sie dort wirken.“
„Klein sein bedeutet, auf die richtige Weise zu beten. Bete dafür, dass dein Wille, dein Ego und dein Stolz im Namen der Liebe beiseite geschoben werden. Bete auch dafür, dass du von der Last befreit wirst, zu wissen, welche Werke aus deiner Seele strömen. Bete dafür, dass du dein tägliches Leben so lebst, dass die Widerspiegelung Gottes bei den Menschen Wunder bewirken kann, die diese Widerspiegelung spüren. Bete darum, die Gewissheit, die totale Liebe und das Vertrauen zu haben, dass der Wille Unseres Vaters geschehen wird und das es für dich nicht notwendig oder gar möglich ist, diesen Willen zu verstehen.“ (Maria)
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